Das Schicksal eines Zwangsarbeiters rekonstruiert

Projektteilnehmer der Klassen 11c und 11e mit Elke Hankofer-Bloch und Stv. Schulleiterin Hedi Maskos

Pockinger Gymnasiasten machen sich auf historische Spurensuche in Bad Füssing – Biografie über Antonin Chemarin erstellt

Ein Bauernhof in Safferstetten, ein französischer Kriegsgefangener, eine heimliche Liebesgeschichte – und Jahrzehnte später: eine Schulklasse aus Pocking, die dieses vergessene Kapitel lokaler Familiengeschichte ans Licht bringt.
Was zunächst wie ein gewöhnliches Unterrichtsprojekt begann, entwickelte sich am Wilhelm-Diess-Gymnasium zu einer emotionalen Zeitreise mit grenzüberschreitender Wirkung. Im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „Concours Bertrand Herz“ machten sich 20 Schülerinnen und Schüler der 11. Jahrgangsstufe unter Leitung ihrer Französischlehrerin Elke Hankofer-Bloch auf die Suche nach den Spuren eines französischen Zwangsarbeiters, der während des Zweiten Weltkriegs in der Region stationiert war.
Die zündende Idee kam von Schüler Leon Gramüller: Seine Urgroßmutter Maria Schmidbauer hatte während des Kriegs auf dem Riedlhof in Safferstetten gearbeitet – Seite an Seite mit dem französischen Kriegsgefangenen Antonin Chemarin, mit dem sie eine geheime Beziehung führte. Aus dieser Verbindung entstand ein Kind: Heidi Schmidbauer, Leons Großmutter.
Diese persönliche Familiengeschichte wurde zum Ausgangspunkt für eine umfassende Recherche. Die Jugendlichen führten Interviews mit Zeitzeugen, unter anderem Leons Urgroßtante Therese Huber, und durchsuchten alte Familienarchive. Im Archiv in Bad Füssing und im Arolsenarchiv stießen sie auf Informationen über Antonins Arbeitsbedingungen, Unterkunft, Verpflegung und sogar über Krankenhausaufenthalte während seiner Zeit in Deutschland.
Ein besonders bewegender Moment war schließlich die Kontaktaufnahme zu Antonins französischer Familie. Über eine Todesanzeige und soziale Medien konnte der heute in Frankreich lebende Sohn Roger Chemarin ausfindig gemacht werden – dieser wusste bislang nichts von seiner deutschen Verwandtschaft. Die anfängliche Überraschung wich bald großer Freude und es entwickelte sich ein lebendiger Austausch über Ländergrenzen hinweg. Per E-Mail und WhatsApp werden mittlerweile Fotos und Erinnerungen geteilt – ein persönliches Treffen ist bereits in Planung.
Neben der Biografie Antonin Chemarins entstanden mehrere kreative Projekte: Ein Fotoroman stellt Antonins Alltag und seine Beziehung zu Maria in Bildern dar. Ein 3D-Modell des Bauernhofs wurde konstruiert, und das Lied „Unbestimmt – Windspiel“, eigens komponiert von zwei Schülerinnen, fasst die Geschichte musikalisch zusammen. Das begleitende Musikvideo ist auf YouTube unter dem Titel „Unbestimmt-Windspiel“ zu finden.
Für die Schülerinnen und Schüler war das Projekt weit mehr als nur eine Wettbewerbsaufgabe. „Es war eine ganz neue Art, Geschichte zu erleben – mit echten Personen, echten Schicksalen, und sogar familiären Verbindungen“, sagt Leon. Auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich tief bewegt von den Ereignissen, die sich nur wenige Kilometer vom eigenen Schulort entfernt abgespielt hatten.
Für ihr außergewöhnliches Engagement wurden die Schülerinnen und Schüler kürzlich mit dem 1. Platz beim „Concours Bertrand Herz“ ausgezeichnet. Eine erste Ehrung fand bereits im Bayerischen Kultusministerium sowie im Institut français in München statt. Zudem erwartet sie im Herbst ein Empfang in der Französischen Botschaft in Berlin.
Das Projekt zeigt, wie Geschichte nicht nur im Lehrbuch, sondern direkt vor der eigenen Haustür geschrieben wurde – und wie eine Schulklasse aus Pocking dazu beiträgt, Brücken über Ländergrenzen hinweg zu bauen.

(PNP vom 22.08.2025)

Den Schülerinnen und Schülern gelang es sogar, den Kontakt zwischen den beiden Familien herzustellen.
Den Schülerinnen und Schülern gelang es sogar, den Kontakt zwischen den beiden Familien herzustellen.
Ein Foto von Maria Schmidbauer um das Jahr 1946.
Ein Foto von Maria Schmidbauer um das Jahr 1946.
Der Riedlhof Safferstetten um das Jahr 1930.
Der Riedlhof Safferstetten um das Jahr 1930.