“Uns werden die Noten nicht hinterhergeschmissen”

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Der Corona-Abiturjahrgang kämpft mit den Herausforderungen der Pandemie – Interview mit Louis Krätzschmar

Corona, immer wieder Corona. Die Pandemie wirbelt viel durcheinander. Wie es ist, sich gerade jetzt aufs Abi vorzubereiten, darüber hat sich die PNP mit Louis Krätzschmar (18) unterhalten. Der ehemalige Bezirksschülersprecher besucht das Wilhelm-Diess-Gymnasium. Ein Gespräch über Anspannung, Ängste und Bildschirmzeiten.

Wie sieht Dein Alltag zurzeit aus?
Louis Krätzschmar: „Jetzt wieder relativ normal. Zumindest unsere Jahrgangsstufe ist im Präsenzunterricht in der Schule. Wir haben unsere Fächer ganz normal nach Stundenplan. Der einzige Unterschied ist, dass wir auf verschiedene Räume aufgeteilt sind, damit der Abstand eingehalten werden kann. Die großen Kurse finden in der Turnhalle statt. Ich hoffe, dass sich das bis zum Abi auch nicht mehr groß ändert.“

Fühlst Du Dich wohl im Präsenzunterricht?
Louis Krätzschmar: „Ganz klar: ja. Ich begrüße es, dass die Abiturklassen wieder in der Schule sind. Aktuell sind ja wirklich wenige Schüler da. Problematisch wird es, wenn wieder mehrere Klassen im Präsenzunterricht sind. Dann wird es schwer, den Abstand einzuhalten.“

Würdest Du die Schule dennoch auch für die anderen Klassen zeitnah wieder öffnen?
Louis Krätzschmar: „Ich kann es verstehen, wenn auch andere Jahrgangsstufen wieder in die Schule möchten. Sie müssen sich vorstellen, die Schüler sind jetzt 14 Wochen zuhause. Schon jetzt gibt es Lücken. Irgendwann müssen alle Schüler wieder in die Schule.“

Wie war denn das Corona-Jahr?
Louis Krätzschmar: „Wechselhaft. Im März 2020 haben wir mit reinem Digitalunterricht begonnen. Dann waren wir um Pfingsten wieder in der Schule, im Wechselunterricht. Das Schuljahr 2020/2021 wurde wieder in Präsenz begonnen. Als das Infektionsgeschehen nach oben ging, kam schnell der Wechselunterricht zurück. Kurz vor Weihnachten waren dann alle Schüler zuhause, nur die Abiturklasse hatte digitalen Unterricht. Vor vier Wochen wurde wieder Wechselunterricht beschlossen. Jetzt haben wir wieder Präsenzunterricht.“

Was macht dieser ständige Wechsel mit einem?
Louis Krätzschmar: „Er weckt Unsicherheit. Man hat große Angst, nicht genügend mitzubekommen, was den Stoff angeht. Das Arbeiten von einer Woche auf die andere umzustellen, trägt nicht zur Entspannung bei. Auch laufen die Umstellungen nicht immer reibungslos ab. Die Mitteilungen des Kultusministeriums werden oft kurzfristig rausgegegeben, zum Beispiel von Freitag auf Montag. Dass man aber nicht übers Wochenende einfach alles umstellen kann, ist klar.“

Wie lernt es sich vor dem Bildschirm?
Louis Krätzschmar: „Stressig. Die geregelten Pausen fehlen. Der Weg zur Schule, die große Pause, der Heimweg. All das fehlt. Das gibt ja auch Struktur, einen geregelten Ablauf. Allein der Raumwechsel zwischen den Stunden sorgt dafür, dass ich für einen kurzen Moment den Kopf ausschalten kann. Aktuell gehe ich nur aus der einen Teams-Konferenz raus und in die nächste rein. Das gleiche passiert nach der Schule. Man verlässt den digitalen Unterricht, um die digitale Hausaufgabe zu machen. Da fehlt einfach der Tapetenwechsel zwischendurch.“

Wie ist die Stimmung an der Schule allgemein?
Louis Krätzschmar: „Ich denke, viele sind erschöpft. Das Abschalten fehlt. Dazu kommen die Klausuren, die man nachholen muss, wenn Schüler in Quarantäne waren. Die Lehrer wiederum müssen schauen, dass sie ihre Noten machen. Das trägt einfach nicht zur Entspannung bei.“

Findest Du in der Freizeit denn keine Abwechslung?
Louis Krätzschmar: „Was macht man denn groß? Freunde treffen geht nur im kleinen Rahmen. Gerade bei uns in der Schule häuft sich da der Stress. Spazierengehen will man auch nicht ständig. Also streamt man eine Netflix-Doku – und ist wieder vor dem Bildschirm. Ich habe Screentimes von zehn Stunden auf meinem Macbook.“

Hast Du Angst, dass das Corona-Abitur als „geschenkt“ abgetan wird?
Louis Krätzschmar: „Ja. Das ist aber ganz und gar nicht so. Man spricht zwar von Streichungen und Erleichterungen, aber präsent sind die momentan noch nicht wirklich. Auch die Streichungen selbst sind oft gar nicht relevant, da sie ohnehin nur Randgebiete der Fächer betreffen. Wir würden es begrüßen, dass mehr Wesentliches gestrichen wird, aber dafür die Themengebiete, die übrig bleiben, intensiver drangenommen werden. Dadurch ließe sich der Ruf vom Corona-Abi vermeiden.“
Zeigen die Lehrkräfte für Eure Situation Verständnis?
Louis Krätzschmar: „Ja. Natürlich müssen auch sie ihre Vorgaben einhalten. Aber sie wissen, dass wir momentan viel zu tun haben. Sie bewerten uns ehrlich, drücken uns aber nichts rein.“

Stichwort Digitalunterricht: Sind die Lehrkräfte ausreichend geschult?
Louis Krätzschmar: „Die jungen Lehrkräfte schon. Die machen auch privat relativ viel in dem Bereich. Bei vielen gab es aber auch Defizite. Das hängt gar nicht mal mit dem Alter zusammen. Manche hatten bisher einfach nicht viel mit digitalen Lerninhalten zu tun. Aber durch die Mithilfe der Schüler kriegt man das hin.“
Wo sollte man noch nachbessern?
Louis Krätzschmar: „Über das vergangene Jahr konnten bereits viele Defizite behoben werden. Wir hatten auch das große Glück, das Microsoft Teams an der Schule schon bekannt war. Dennoch wäre es gut, wenn weitreichende Fortbildungen stattfinden würden. Nach der Pandemie ist ja das Thema Digitalisierung für Lehrkräfte nicht vorbei, ganz im Gegenteil.“

Kann digitaler Unterricht auch auf Dauer funktionieren?
Louis Krätzschmar: „Das hängt vom Fach ab. In einem Fach wie Mathe kann der Lehrer den Unterricht mit Hilfe der Projektkamera eigentlich ganz normal weiterführen. In Fächern mit mehr Redebeitrag wie Geschichte oder Geografie ist das weniger sinnvoll. Das hat man beim Wechselunterricht gesehen. Die Lehrkraft fokussiert sich auf die Schüler, die anwesend sind. Die Gruppe, die von zuhause aus am Unterricht teilnimmt, kann einfach nicht so gut mitarbeiten und Fragen stellen. Da gehen viele Sachen unter.“

Wie sieht Deine Zukunft aus?
Louis Krätzschmar: „Ich habe eine Lehrstelle als Schreiner. Ich wollte etwas einigermaßen Sicheres machen und nicht studieren. Ganz normal arbeiten. Damit bin ich aber eine Ausnahme in meinem Jahrgang.“

Hast Du Angst vor der Zukunft?
Louis Krätzschmar: „Ich bin ein Optimist, also nein. Passieren kann natürlich immer was.“
Was würdet ihr Schüler den Menschen gerne mitteilen?
Louis Krätzschmar: „Die Aussage ,Die machen ja eh nix!‘ stimmt einfach nicht. Uns werden die Noten nicht hinterhergeschmissen. Wir haben gerade ziemlich viel Stress. Da würden wir uns mehr Akzeptanz wünschen. Bei den Lehrern genauso: Die machen zuhause nicht einfach nichts. Sie bereiten unseren Unterricht vor. Ohne unsere Lehrer wären wir niemals da, wo wir heute sind.“

Das Gespräch führte
Christoph Ströbl – unter Einhaltung der Corona-Regeln

PNP vom 20.03.2021